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Krankhaft! Zwanghaft!

Wer pedantisch auf das Einhalten von Regeln, Verordnungen und Konventionen besteht und seinen Mitmenschen das Leben bis an die Grenze des Unerträglichen schwer macht, hat sehr wahrscheinlich eine sogenannte zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Er selbst leidet nur an den Nebenwirkungen, die in Form von Gegenwehr und Diskutiererei aus seinem Umfeld auf ihn einprasseln.

Übrigens, wer nicht lesen will, kann zuhören (Podcast) und zusehen (VLogYouTube).

Die krankhaft zwanghafte (anankastische) Persönlichkeitsstörung drückt sich in übertriebener Gewissenhaftigkeit und Perfektionismus aus. Dieser Mensch kontrolliert zwanghaft, ob alles nach Vorschrift sich in Regeln und Normen abspielt. Dadurch kommt diese Person bei Kollegen und Verwandtschaft nicht gut an.

Die zwanghafte Persönlichkeit wehrt sich gegen die spontanen Verführungen des Lebens und der Welt im Allgemeinen. Außerdem ist jedwede Fremdeinmischung etwas, dass nach Unterwerfung riecht. Und sei die Einmischung noch so klein, man muss ihr Misstrauen. Im selben Moment wünscht sich die Person aber auch Schutz und Sicherheit. Ideal wäre es für die zwanghafte Person, wenn sie alles immer unter absoluter Kontrolle hätte.

Menschen, die krankhaft zwanghaft sind, konzentrieren sich vordergründig auf das Beherrschen von Dingen und Situation und weniger auf das direkte Beherrschen von Menschen. Mit diesen wollen sie es sich ja nicht verderben. Sie brauchen die anderen schon und wollen mit ihnen zusammenleben.

Es geht ihnen nicht um die Bevormundung anderer, sondern lediglich um die Ordnung der Sachen. Z. B. soll die Spülmaschine immer so und so eingeräumt werden, wegen der Teller und Tassen. Wenn Frau und Kinder eine andere Gewohnheit haben, wird der krankhaft Zwanghafte ihnen plausible machen, warum es anders besser ist..

Krankhaft zwanghaften Menschen bauen ihre Argumentationskette entlang der Sachen und Dinge auf, von denen Schaden und Unordnung abgewendet werden muss.

Nehmen wir als Beispiel den Zeitungs-Abo-Verkäufer an der Haustür:

Die zwanghafte Person wird den Abo-Menschen zwar herein lassen. Doch dann liest sie sich den Vertrag, insbesondere das Kleingedruckte akribisch genau bis auf Punkt und Komma durch. Sie stellt Fragen, sehr viele Fragen, bis sie sich sicher ist, mit Sicherheit das Richtige zu tun. Allerdings hat inzwischen der Abo-Verkäufer genervt das Weite gesucht.

Der Zwanghafte durchdenkt wie ein Schachspieler alle Varianten bevor er sich für etwas entscheidet. Und, wie beim Schach, so auch im Leben ist die Vielfallt millionenfach groß. Wie soll man da zu einer ordentlichen Entscheidung kommen.

Entwicklungsdynamisch

Menschen mit einem krankhaft zwanghaften Muster brauchen Sicherheit, am liebsten die absolute. Für sie funktioniert auch nicht die Delegation von Entscheidungen, wie etwas bei dem krankhaft abhängigen Menschentypus. Delegation wäre dem Zwanghaften viel zu vage. Er muss es überprüfen. Wenn es dann noch viele Belange sind, verunsichert ihn zusätzlich die Menge und Gleichzeitigkeit der Dinge.

Psychologen und Therapeuten sind der Ansicht, dass in der Kindheit des Zwanghaften eine übertriebene Beeinflussung durch die Bezugspersonen ausschlaggebend gewesen sei. Eine Bevormundung anhand von unwiderlegbaren Sachargumenten, freundlich wohlwollend kompromisslos vorgetragen, hat das kindliche Ausprobieren im Keime erstickt. Eine Gegenwehr des Kindes wurde nieder argumentiert.

Der junge Mensch erlernte so das unendliche Abwägen von Für und Wider. Jede eigene Festlegung ließ sich durch eigene Gegenargumentation aushebeln. Es gilt die Maxime, bevor man entscheidet und handelt, muss alles bedacht sein.

Zu bedenken ist,

die sogenannten „Helikoptereltern“ sind möglicherweise ihren wohlbehüteten „Treibhauskindern“ ein passabler Wegbereiter ins krankhaft Zwanghafte. Ihnen wird vermittelt, dass Lebenssicherheit mit starren Regeln, Verhaltensritualen, pedantischer Ordnung etc. sicherer wird.

Im Erwachsenen-Leben lebt der Zwanghafte in ständiger Unsicherheit, sich für oder gegen etwa zu entscheiden, wenn es nicht 100%ig voraus kalkuliert ist. Seine Lebens-Strategie lautet dann: defensiv bleiben und erst einmal zum x-ten Mal gegenchecken.

In der Partnerschaft

fürchtet sich der krankhaft Zwanghafte am meisten vor seiner eigenen Lebendigkeit, weil er nicht einfach spontan aus dem Bauch heraus entscheiden kann. Daher ist er eigentlich fasziniert von einem chaotischen Partner oder Partnerin, die ihn stellvertretend am wechselhaften Leben teilhaben lässt. Das funktioniert dann auch sehr gut, wenn die Zahnpasta immer so liegt wie sie liegen soll, solange das Haushaltsgeld so verwendet wird, wie es einzuteilen war, solange die Abläufe im Haus und im Leben so laufen wie sie ablaufen müssen.

Falls in dieser Partnerschaft Kompromisse ausgehandelt werden müssen, werden beide ihre Blessuren davon tragen und sich wünschen, sich nie kennengelernt zu haben. Einer versteht den anderen nicht.

Nicht das Vermeiden

ist das Ziel des krankhaft Zwanghaften, sondern die unermüdliche Suche nach Sicherheit, um wirklich sicher zu sein. Er braucht Regeln, Normen, Verfahrensanweisungen etc., die ihn bis ins Kleinste bestätigen.

Dieses zwanghafte alles Hin-und-her-abwägen-müssen macht der Person keine Probleme. Sie leidet nicht darunter. Für sie ist es entlastend, alle Möglichkeiten ausgelotet zu haben. Insofern hat ein Mensch mit objektiv zwanghafter Persönlichkeitsstörung auch keine Krankheitseinsicht.

Die Merkmale der zwanghaften (anankastischen) Persönlichkeitsstörung können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Übermäßiger Zweifel, Vorsicht und Unentschlossenheit
  • Permanente Beschäftigung mit Detail, mit Listen und Regeln, mit Ordnung, Organisation und Planung
  • Hinderlicher Perfektionismus
  • Übermäßig gewissenhaft und leistungsorientiert wobei Zwischenmenschliches auf der Strecke bleibt
  • Pedantisches befolgen von Konventionen
  • Rigide und eigensinnig
  • Unterordnung unter Gewohnheiten auch wenn sie unsinnig sind
  • Vermeidet Dinge zu delegieren
  • Beharrliches Aufdrängen seiner Gedanken und seiner Meinung

Fazit

In der Kindheit lieb und gefällig. Später rigide und starr verharrend in Konventionen und Pedanterie. Auffällig ist die mangelnde Spontanität und fehlende Flexibilität. Alles wird lange voraus geplant und dann auch strikt eingehalten. Ordnung und Regeln, sachlich begründet und unanfechtbar, sind einzuhalten. Ansonsten geht die sichere Sicherheit verloren und Angst vor dem Chaos kann in Panikwellen ausbrechen.

Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung ist eine Charakterneurose. Wie die narzisstische Persönlichkeitsstörung, schwer zu greifen und die Person ist ohne Krankheitseinsicht.

Der Leidensdruck macht sich allerdings nur bei seinen Mitmenschen, insbesondere den Angehörigen breit, die seine Art des Denkens und Handelns ertragen müssen.