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Im psychologischen Zusammenhang ist Kritik die Beurteilung einer Handlung, eines Verhaltens oder einer Aussage. Das hört sich erst einmal sehr neutral an, unverfänglich und objektiv. Ist es meistens aber nicht. Denn jedes Urteil ist von der Person individuell bewertet, die das Urteil abgibt. Im Zweifel fragt man auch gerne weitere Personen um ihre Einschätzung und kommt dann zu einer „gemittelten“ Beurteilung.
Tagtäglich üben wir Kritik, an anderen und sehr häufig an uns selbst. Über die Kritik an uns selbst habe ich schon mehrfach berichtet ( s. a. Blog / Podcast / YouTube ).
Die Kritik an anderen, und darum geht es heute, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit unseren Erwartungen ( s. a. Blog / Podcast / YouTube ) und unserem Umgang mit Konflikten ( s. a. Blog / Podcast / YouTube ).
Kritisieren heißt, einen Maßstab anlegen.
Wenn wir Kritik an etwas äußern, wenn wir beurteilen und erst recht verurteilen, bedeutet es immer, dass wir einen Vergleich anstellen. Wir vergleichen das was jemand tut, wie er sich verhält, was er sagt, mit unserem persönlichen individuellen Ermessen.
Und jetzt wird es spannend.
Unserem Ermessen liegen viele Umstände zugrunde: Zunächst einmal durch die vererbten Gene, dann die Kultur in die wir hineingeboren worden sind, dann unsere Persönlichkeit, die sich überraschend früh entwickelt und glücklicherweise lebenslang formbar bleibt. Und letztlich trägt unsere Lebens-Erfahrung und das soziologische Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind, wesentlich zu unserem Ermessen, zu unserem Bewerten und unserem Beurteilen bei.
Niemand lässt sich gerne kritisieren. Kritik wird fast immer als persönlicher Angriff gewertet.
Deshalb lautet eine der wichtigsten Empfehlung: Gehen Sie selbst mit Kritik äußerst sparsam um.
Je nachdem, wie stark unser Selbstwertgefühl und unser Selbstvertrauen sind, reagieren wir unterschiedlich auf Kritik: Beispielsweise eher gelassen oder gereizt, gekränkt oder verteidigend, beleidigt oder ungerecht behandelt.
Menschen mit einem schwachen Selbstwertgefühl fühlen sich durch Kritik verletzt und herabgesetzt. Sie reagieren auf Kritik typischerweise verärgert bis hin zur Aggressivität oder verfallen in Selbstmitleid bis hin zu depressivem Opferverhalten.
Wenn wir kritisieren, dann wollen wir den anderen auf einen Fehler oder ein Unrecht hinweisen. Wir bezwecken nicht, dass dieser ausrastet oder gekränkt ist. Die Frage ist also:
Wie kritisiert man jemanden so, dass der die Kritik leichter annehmen kann?
Eine Option ist, konstruktives Kritisieren üben.
Statt den Finger in die Wunde zu legen und den anderen auf das Störende oder Falsche nur aufmerksam zu machen, unterbreiten wir dem anderen einen Verbesserungsvorschlag. (Voraussetzung ist natürlich, dass der andere nicht aus Gemeinheit, Bosheit oder Rache handelt. Hier sei unterstellt, dass die Beteiligten ein harmonisches Miteinander pflegen wollen.) Ansonsten hätten wir zunächst ein ganz anderes Thema zu bearbeiten.
Also, Beispiel:
Anstatt den Vorwurf zu machen, „Komme nicht immer mit den schmutzigen Gartenschuhen ins Haus und versau mir nicht den Boden“, wäre eine Option zu sagen, „Bitte ziehe doch direkt vor der Haustür die Schmutzschuhe aus. Die Pantoffel stehen dort schon parat.“
Das dient dem tatsächlichen Zweck. Das ist kein Vorwurf auf eventuelle Folgen eines falschen Handelns. Es ist freundlich gesagt und offeriert eine praktikable Lösung. (Wie gesagt, goodwill vorausgesetzt. Ansonsten, anderes Thema.)
Eine weitere Option ist, erst mal loben, dann kritisieren.
Diese Möglichkeit ist die wirkungsvollste. Wir benennen lobend den Einsatz oder die Mühe des andere ausdrücklich, ohne Wenn und Aber. Danach sagen wir, was aus unserer Sicht jetzt noch zur Verbesserung der Gesamtsituation angebracht wäre.
Beispiel:
„Vielen Dank, dass Du den Rasen gemäht hast und auch noch die Rosenbeete aufgelockert hast. (Kurze Atempause) Bitte ziehe doch direkt vor der Haustür die Schmutzschuhe aus. Die Pantoffel stehen dort schon parat.“
Durch die verbale Trennung des Einen vom Anderen kann der Kritisierte es besser annehmen.
Einige wichtige Aspekte, wie Sie Kritik äußern können, sind:
- Kritisieren Sie nie die Person. Werden Sie nicht persönlich. Bleiben Sie bei der Sache. Kritisieren Sie das Handeln, das Verhalten oder die gesagten Worte.
- Warten Sie mit ihrer Kritik nicht, bis Sie kurz vor dem Platzen sind. Denn dabei stauen sich Emotionen auf. Es wird dann meistens verletzend, ungerecht, beleidigend und übertrieben argumentiert. Erreicht wird oftmals gar nichts damit.
- Und, insbesondere nahestehende Menschen, Freunden und Familie, darf man gerne 5 Mal mehr Lob zukommen lassen als Kritik. Das kann ein Zeichen von Respekt, Toleranz, Verständnis und Harmoniewillen sein.
Wie kann man mit Kritik umgehen?
Grundsätzlich entscheidet der Kritisierte, wie er mit der Kritik umgeht und was er daraus macht. Er entscheidet, ob er die Kritik ernst nimmt, welche Bedeutung die kritisierende Person für ihn hat und ob die Kritik selbst eine Relevanz für ihn hat.
Besonders heftig wird Kritik empfunden, wenn man in seiner gesamten Person in Frage gestellt wird.
Wir können mit Kritik gut umgehen, wenn wir uns sicher fühlen, wenn wir ein stabiles Selbstwertgefühl haben. D. h., dass wir uns selbst wertvoll sind und uns selbst positiv bewerten.
Je geringer das Selbstwertgefühl ist, desto mehr schmerzt Kritik.
Die Wortwahl und der Tonfall einer Kritik haben ebenfalls großen Einfluss auf unser Empfinden. Mit Kritik oder gar mit Ablehnung gelassen umzugehen, ist eine wichtige Fähigkeit für unser seelisches Wohlbefinden, für unseren beruflichen Erfolg, für unsere sozialen Bindungen und nicht zuletzt für unsere Partnerschaft und das Familienleben.
Souveräner Umgang mit Kritik.
Schauen wir mal, was nicht sinnvoll ist und uns eher schadet:
- Den Kritisierenden als Person abzulehnen
- Mit Gegenkritik antworten
- Gekränkt-sein und Beleidigt-sein zur Schau tragen
- Am Boden zerstört und deprimiert sein
- Rechtfertigungen als Entschuldigung darstellen
Wenn man uns kritisiert, dann ist es besser so vorzugehen:
- Zuhören, ohne den anderen zu unterbrechen
- Dem anderen dort zustimmen, wo er im Recht ist
- Wenn etwas unklar ist, den anderen bitten, seine Kritik ausführlicher zu erläutern
- Wenn wir im Unrecht sind, dann entschuldigen wir uns und geben es explizit auch zu
- Wenn die Kritik unangemessen ist, ungerechtfertigt ist, unfair vorgetragen ist, dann bedauern wir die unterschiedliche Ansicht und sagen explizit, dass wir anderer Auffassung sind.
Meinungsverschiedenheiten gehören zur Individualität dazu. Trotzdem kann und sollte man respektvollen Umgang miteinander pflegen. Bei Unstimmigkeiten müssen wir akzeptieren, dass der Kritiker eine andere Sicht auf die Dinge hat. Er hat ein Recht auf seine Betrachtung. Nicht mehr und nicht weniger. Damit ist längst nicht gesagt, wer im Recht ist.
Kritik als Ausdruck von Liebe und Anteilnahme
Gehen wir mal von einem Bestreben nach friedlichem Miteinander aus, dann darf man Kritik an unserem Verhalten auch als Ausdruck von Liebe und Anteilnahme sehen. Wir sind dem andren nicht gleichgültig. Er macht uns auf etwas aufmerksam, das in seinen Augen negativ und störend ist. Wir sind ihm wichtig.
Seine Kritik bietet uns die Chance zum Besseren. So gesehen kann ein Kritiker auch als Trainingspartner gesehen werden.
Falls uns Kritik immer am Boden zerstört, wäre es angebracht, mal unseren Selbstwert und unsere Selbstachtung zu thematisieren (s. die Links w. o.). Verletzt, gekränkt und niedergemacht reagieren wir nämlich dann, wenn wir uns für die Fehler und Schwächen, auf die wir aufmerksam gemacht werden, selbst ablehnen.
Wären wir stabil und ausreichend von unserem Tun überzeugt, würden wir Kritik souverän anhören können, um eventuell doch noch etwas dazuzulernen.
Sind wir uns unserer Fähigkeiten und Werte nicht bewusst und von diesen nicht wirklich überzeugt, wird Kritik für jedermann leicht zu einer Waffe, die uns verletzten und Schaden zufügen kann.
Fazit:
Ein gefestigter Selbstwert und eine solide Selbstachtung ermöglichen uns, souverän und reflektiert mit Kritik umzugehen und Positives herauszuholen. Respekt und Wohlwollen vorausgesetzt.