Was erwarten Sie eigentlich?

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So formuliert, ist das eine provokante Frage. Aber durchaus berechtigt, denn zerlegen Sie einmal den Begriff in die Vorsilbe er und das Verb warten, dann kann daraus eine psychologisch problemträchtige Haltung entstehen.

Eine Erwartung kann einerseits eine bloße Vermutung sein und andererseits einen Anspruch beinhalten.

Grundlegend gilt, wenn man etwas erwartet, kann man sich selbst erst einmal zurücknehmen. Von dem Zeitpunkt an, braucht man zur Erfüllung dessen, was man erwartet nichts mehr beizusteuern. Man ist in der komfortablen Situation einfach nur abzuwarten, Ausschau zu halten. Warten kommt von Warte, Ausguck oder Ausschau halten.

Übrigens, der Gegenpol zum Er-Warten ist das Be-Wirken.

Erwartungen in Partnerschaft und Familie

Erwartungen spielen in zwischenmenschlichen Beziehungen, besonders in Partnerschaft und Ehe, sowie im Familienleben, eine zentrale Rolle. Entweder wie eingangs erwähnt als Vermutung, wie sich jemand verhalten wird oder als Anspruch, wie sich jemand verhalten sollte.

Ob hinter einer Erwartung eine bloße Vermutung steckt oder ob ein Anspruch damit verbunden ist, zeigt sich immer dann sehr deutlich, wenn die Erwartung nicht erfüllt wird.

Nehmen wir mal an, die Erwartung war lediglich eine Vermutung, die sich jetzt bei Nicht-Erfüllung als Irrtum herausstellt. Dann können alle Beteiligten mehr oder weniger gelassen damit umgehen und gegebenenfalls den Irrtum korrigieren.

Ganz anders sieht es aus, wenn die Erwartung einen Anspruch beinhaltet. Wird eine solche Anspruchs-Erwartung nicht erfüllt, fühlt sich der Enttäuschte zurückgewiesen, abgewertet und missachtet. In der Folge gibt es typischerweise zwei Reaktionen: Man ist gekränkt und zieht sich zurück oder man übt heftig Druck aus, um seinen Anspruch durchzusetzen.

Je persönlicher desto heftiger

Je persönlicher eine Beziehung ist, wie z. B. in einer Partnerschaft oder unter Familienangehörigen, desto bedeutender wird es für den, der mit seinen Erwartungen Ansprüche verbindet. Denn Ansprüche beim Er-Warten führen zu eigener Passivität. Wer etwas erwartet, ist in der Warteposition.

Mit den äußerst beliebten Social Media Messangers, wie z. B. WhatsApp und Co. verschlimmbessert sich die Situation. Wer hat nicht schon ungeduldig auf eine Reaktion bzw. Antwort nach seiner Message gewartet?

Anstatt im eigenen Interesse zu handeln, aktiv zu werden, wartet er ab. Er wartet, dass andere etwas tun. Und zwar sich so zu verhalten, dass die Bedürfnissen des Erwartenden erfüllt werden.

Das vertrackte an solchen Situationen ist, dass der auf eine Reaktion Wartende sich abhängig macht. Es kommt bald ein Gefühl der Ohnmacht auf. Außer warten tut man eben nichts. Bei heftigem Verlangen, dass sich die Erwartung erfüllen soll, kann die Ohnmacht in Aggression umschlagen.

Erwartungshaltungen

Das Anspruchs-Erwarten kann einerseits aus einer passiv-ergebenen Haltung heraus abgewartet werden. Bleibt das Erwartete aus, führt die Passivität zur Resignation.

Es kann andererseits mit dem Anspruchs-Erwarten aber auch ein Bewirken-Wollen verbunden sein. Dann kommt es beim Ausbleiben fast zwangsläufig zur Zwietracht. Dazu gehören allerdings, wie der Name schon sagt, mindestens zwei Personen. Wobei nicht nur der Sender der Erwartung, sondern auch der Empfänger der Anspruchs-Erwartung sich eben dieser Aufforderung bewusst sein muss.

Mit anderen Worten, wenn der Empfänger gar nicht merkt, dass eine Reaktion erwartet wird, dann verpufft die Zwietracht zur Eintracht; – nur einer trägt die Last.

Registriert hingegen der Empfänger die Erwartungshaltung, führt dieses bei ihm zu einem Konflikt.

Sender einer Anspruchs-Erwartung drängen den Empfänger in eine Rolle.

Wegen unseres angeborenen Grundbedürfnisses nach Selbstbestimmung, nach Autonomie, reagieren wir auf Drängeln natürlich mit Widerstand. Wir, von denen etwas erwartet wird, fühlen uns in unserer Freiheit eingeschränkt.

Jetzt können wir uns der Erwartung verweigern, um unsere Autonomie aufrecht zu erhalten, oder wir beugen uns, beispielsweise im durchaus sinnvollen Interesse eines harmonischen Familienlebens. Der Preis dafür ist Autonomieverlust, den wir möglicherweise an anderer Stelle wieder wettmachen wollen.

Wie kann man sich jetzt helfen?

Benennen wir den, der eine Anspruchs-Erwartung hat, vereinfacht als Täter:
Ihm ist zu empfehlen, das Selbstbestimmungsrecht des anderen zu respektieren. Als Täter sollte er alle Manipulationsversuche, Forderungen, Nötigungen und erst recht alle Drohungen unterlassen. Er sollte dem Anderen die Freiheit nicht streitig machen, zu tun was dieser für richtig hält. Denn Sie, als Täter, nehmen sich ansonsten selbst die Freiheit im Eigeninteresse konsequent zu sein. Sie verlieren sich möglicherweise in Ihren Prinzipen.

Benennen wir den, der die Anspruchs-Erwartung erfüllen soll, vereinfacht als Opfer:
Wenn die Erwartung für ihn stimmig ist, dann wird die Erfüllung für ihn eher vorteilhaft sein. Ein Problem, eine Missverständnis, ein Sachverhalt ist geklärt.

Problematisch wird es, wenn dem Opfer eine Erwartung unberechtigt erscheint.

Dann bleibt ihm erstens, nachgeben und den Anspruch erfüllen oder zweitens, sich treu bleiben und den Druck aushalten. Das Erstere ist gelegentlich ein weiser Entschluss. Das Zweite kann gut funktionieren, wenn keine eigenen Erwartungen an das Gegenüber gestellt werden. Die Anspruchs-Erwartung seitens des Fordernden wird jedenfalls so nicht erfüllt.

Fazit:

Ob Täter oder Opfer, erlauben Sie dem Anderen, emotional so zu reagieren, wie ihm tatsächlich zumute ist. Dann haben auch Sie die besten Chancen, ganz selbstbestimmt Sie selbst zu sein.

Andernfalls führen gegenseitigen Anspruchs-Erwartungen geradewegs in eine ausufernde Zwietracht.

 

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