Es gibt sehr wahrscheinlich niemanden auf unserer Erde, der nicht schon mal Angst hatte. Und ich meine wirkliche Angst, nicht nur Bedenken. Angst und Furcht sind tief in uns verankert und trugen evolutionär dazu bei, dass es uns heute überhaupt gibt.
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Es sind nämlich die Vorsichtigen und die Ängstlichen, die das Überleben und Fortbestehen des Homo Sapiens ermöglicht haben. Die Draufgänger, die Furchtlosen und die Unerschrockenen sind vom Säbelzahltiger aufgefressen worden, bevor sie sich vermehren konnten.
Angst ist für das Überleben notwendig und wichtig. Sie ist ein Indikator, dass etwas Lebensbedrohliches passiert oder unmittelbar bevor steht. Angst ist zukunftsgerichtet. Angst ist eine Emotion, ein Gefühl, das in Millisekunden von der Amygdala ausgehend weitere Gehirnareale erreicht. Unter anderem die Lern- und Gedächtnisbereiche im Hippocampus und die realitätsbezogenen Bereiche im Frontalcortex.
Mit anderen sehr simplen Worten, ein von außen mit unseren fünf Sinnen bewusst oder unbewusst wahrgenommenes Ereignis löst im Gehirn ein Signal aus. Blitzartig wird dort entschieden ob das was am Gehirn dran hängt, nämlich wir, der Mensch, in Überlebensgefahr ist oder nicht. Wenn JA, bewirkt das ein Gefühl, das wir Angst nennen.
In dem Falle breiten sich die Angstsignale weiter aus, sie bewirken körperliche Reaktionen, wie Blutdruck-, Herz- und Atemfrequenzzunahme, Verdickung des Blutes u. v. a., was zur Überlebensfunktion des Körpers unbedingt notwendig ist. Andere Funktionen werden runtergefahren. Rasend schnell werden die Sinnessignale mit unserem genetischen Gedächtnis abgeglichen, ob jetzt Flucht, Kampf oder Totstellen die angemessene Reaktion ist. Und schließlich kommt unser evolutionstechnisch jüngster Gehirnbereich zum Zuge und kann seine individuelle Lebenserfahrung beitragen und daraus überlegte Handlungen ablaufen lassen.
Die Hirnforschung ist weltweit erst am Anfang ihrer Erkenntnisse. Einiges weiß man schon und definiert Angst so:
- Angst ist eine Grundemotion geprägt durch umfassende Furcht und Besorgnis, unabhängig von der Kultur in die man hineingeboren wurde oder in der man aufwuchs. Angst macht ein unangenehmes Gefühl, das überhöhte Erregung mit körperlichen Symptomen auslöst. Angst bezieht sich immer auf das was kommen mag, auf Zukünftiges. Das kann der allernächste Augenblick sein, aber auch etwas, das erst in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten zu erwarten ist. Jedenfalls entstehen durch Angst Bewältigungsstrategien, wie z. B. Anpassung, Vermeidung oder Aggression.
Verlustangst
Eine Form der Angst, die zunächst vordergründig keine direkte körperliche Bedrohung darstellt, ist die Verlustangst. Sie ist einerseits vielfältig in den Ursachen und andererseits sehr variantenreich in den (Aus)Wirkungen. Jedoch macht Verlustangst genauso Stress wie körperliche Bedrohung. Verlustangst ist auf lange Sicht fokussiert. D.h., der stressige Zustand hält über Stunden, Tage, Wochen oder Monate an. Körper und Geist haben keine Chance die Stresshormone auszutarieren und in eine Erholungsphase zu gehen. Und genau das macht auf Dauer physisch und psychisch krank. Die Verlustangst-Spirale dreht sich und befeuert sich selbst.
Selbstzweifel, Realitätsverlust, Verdrängung und ungute Kompensation sind häufig anzutreffende Bewältigungsstrategien.
Verlustangst in Beziehungen
Unabhängig von Corona, beobachten wir seit einigen Jahren in der psychotherapeutischen Praxis eine Zunahme von Ängsten, die als Hauptüberschrift Angst vor Verlust und ihren Auswirkungen lauten könnte. Mehr und mehr Singles leben in physischer und psychischer Einsamkeit. Und selbst in Partnerschaften, mit gemeinsamer Wohnsituation häufen sich die Probleme der Entfremdung und des Auseinanderlebens.
Ursache der Verlustangst
Oft beruht das zu erwartende Leid bei Beziehungsverlust auf Erfahrungen aus der Kindheit. Z. B. aufgrund von Tod eines Familienmitgliedes, oder Trennung der Eltern, oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson oder auch eines Haustieres. Für das Kind kann es ein Trauma sein und sich verfestigen, wenn keine Möglichkeit zur Aufarbeitung gegeben war. Ein solches Erlebnis kann im Erwachsenenalter zu Verlustangst führen.
Andere Ursachen sind auch: Übermäßige Ängstlichkeit der Eltern, Hilflosigkeit und Opferverhalten der Bezugspersonen, eigene oder in der Familie erlebte Depression, unzureichendes Selbstwertgefühl, mangelndes Sicherheitsgefühl und Geborgensein sowie betrogen worden sein in der Partnerschaft.
Symptome von Verlustangst in der Partnerschaft
An erster Stelle steht die Eifersucht. Sofern sie tatsächlich unbegründet ist, drückt die Eifersucht eine übertriebene Verlustangst des Eifersüchtigen aus. Schon durch kleinste Gegebenheiten fühlt sich der Eifersüchtige bedroht, etwas zu verlieren, auf etwas keinen Einfluss mehr zu haben und bei etwas nicht mitbestimmen zu können.
Misstrauen und Kontrollzwang des einen über den anderen sind ein Ausdruck von Verlustangst. Da werden Kreuzverhöre inszeniert nach Telefonaten oder Besuchen von Bekannten und Freunden. Alleiniges Ausgehen wird zum Tabu. Handys und Chatverläufe sollen offenbart werden oder werden ausspioniert.
Menschen mit ausgeprägter Verlustangst suchen übermäßig Bestätigung durch und beim Partner. Typische Fragen sind dann: Findest du mich noch attraktiv, liebst du mich noch, etc. Beliebtes Verhalten, bestätigt zu werden, ist auch abweisend und oder beleidigt zu sein.
Emotionale Abhängigkeit ist ein weiteres Symptom von Verlustangst. Dabei ordnet sich der eine dem anderen bereits nach kurzem Kennenlernen emotional unter. Eigene Freiheiten werden aufgegeben oder erst gar nicht zum Ausdruck gebracht. Alles richtet sich nach dem anderen.
Klammern und Einengen kommt zum Ausdruck, wenn für Menschen mit starker Verlustangst vorausgegangene Beziehungen ein ewiges Thema sind. Sie kommen über abgeschlossene Beziehungen nur schwer hinweg, besonders wenn sie verlassen wurden. Bei neuen Bekanntschaften reden sie ständig über die alten Beziehungen und vermitteln den Eindruck nicht loslassen zu können.
Verlustangst überwinden
Der erste und wichtigste Schritt, sich von Verlustangst in der Partnerschaft zu befreien, ist die Selbsterkenntnis. Dazu gehört, das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen: Wann und bei welchen Gelegenheiten bekommt meine Verlustangst übermäßige Bedeutung für mich? Gibt es Hinweise aus meinem Umfeld, dass ich überreagiere?
Wer ernsthaft daran arbeiten will, kann und sollte sich Notizen machen.
Als nächste ist eine Ursachenfindung sehr hilfreich. Hier ist eine therapeutische Unterstützung sinnvoll, weil man allein in eigener Sache „betriebsblind“ ist. Probleme aus Kinder- und Jugendzeit sind möglicherweise aufzuarbeiten. Traumatisches Erleben aus vergangenen Zeiten muss eruiert und vom Hier und Jetzt klar abzugrenzen sein.
Ängste, insbesondere Verlustängste müssen in Worte gefasst werden. Dazu ist der Austausch mit einem Gesprächstherapeuten nützlich. Hilfreich ist das einmalige Aufschreiben seiner Sorgen Ängste, Nöte und negativen Gefühle per Hand. Das Hand-Aufschreiben ist mit einer körperlichen Handlung verbunden. Beide Hirnhälften sind dabei aktiv und fördern die Selbstreflexion. Das Sorgen-aufschreiben sollte allenfalls 1-mal am Anfang einer Verlustangst-Krise passieren.
Um sich selbst positiv zu beeinflussen ist es empfehlenswert, in ein Sonnentage-Büchlein mindestens 3 Ereignisse zu schreiben, die tagsüber gute Gefühle gemacht haben, die positiv waren und für die man dankbar ist. Das muss und soll nichts weltbewegendes sein. Kleinigkeiten, die einfach nur schön und angenehm waren. Und, formulieren Sie positiv. Formulierungen wie, „mein Chef hat heute NICHT gemeckert“ sind unsinnig, weil unser Gehirn NEIN nicht nicht verarbeitet. Beispiel: Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten. Schreiben Sie täglich etwas in das Büchlein. Dadurch bringen Sie sich in einen Positiv-Modus und können in Krisenzeiten darin zurück blättern und sich erfreuen.
Meditation ist ebenfalls ein probates Mittel stressfrei zu werden. Dazu kann man Selbstlern-Audios nutzen oder noch besser, eine Anfangsanleitung durch einen Therapeuten in Anspruch nehmen. Yoga, Qui-Gon, Autogenes Training und Progressive Muskelrelaxation u. a. sind sehr geeignet. Es braucht Übung und anfangs Ausdauer. Danach will man es nicht mehr missen.
Ausgeprägte Verlustangst sollte in psychotherapeutischer Behandlung bearbeitet werden. Verdrängte Traumata können sehr viel Leid hervorrufen, bei sich selbst und bei seinen verzweifelten Lieben. Von krankhafter Verlustangst geplagte Menschen entwickeln häufig Bewältigungsstrategie, die meistens kontraproduktiv sind. Beispielweise verdrängen sie, oder kompensieren sie mittels Drogen, Alkohol, Spielen etc., oder projizieren ihre Ängste.
Fachliche Hilfe kann zudem mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein aufbauen und stärken.
Und wenn der Partner Verlustangst hat
Seine Sie verständnisvoll. Bleiben Sie sachlich und konzentriert. Ermutigen Sie Ihr Gegenüber an seinen Problemen zu arbeiten, mit den o. g. Hinweisen. Dabei sollten Sie Ihre eigenen Freiräume nicht aus den Augen verlieren. Ferner ist Kommunikation das geeignete Mittel dem Partner Verlustangst zu nehmen. Auf Augenhöhe sollten beide offen ohne Vorbehalten über Sorgen, Befürchtungen sowie Wünsche und Bedürfnisse sprechen.
Kommunikation ist das, was ankommt. Auch das kann man in einem Therapiegespräch lernen.
Fazit
Bewältigung von Verlustangst beginnt bei einem selbst. Finden Sie heraus, was die Ursache sein könnte. Lenken Sie Ihre Gedanken in positive Richtung. Erfreuen Sie sich dankbar der 3 schönsten Dinge des Tages. Kommunizieren Sie fair und offen mit Ihrem Partner. Er wird Ihnen Verständnis entgegen bringen und Sie bei der Bewältigung der Ängste unterstützen. Bei Vermutung auf traumatische Erlebnisse nehmen Sie psychotherapeutische Hilfe in Anspruch.
Wer sich selbst nicht gleichgültig ist und wem das Glück des Partners nicht gleichgültig ist, wird dem Gefühl der Verlustangst Paroli bieten.
Gehen Sie es an. Es ist Ihr Leben.