Archiv der Kategorie: Persönlichkeitsstörungen

Emotionale Reife. Emotionale Stabilität.

Emotionale Reife und Stabilität sind zunächst mal unabhängig vom biologischen Alter.

Ausschlaggebender sind eine solide Persönlichkeitsentwicklung, ein gefestigter Charakter, emotionale Intelligenz, ein starkes Selbstbewusstsein, Selbstreflektion, Selbstbeherrschung sowie Selbstliebe und nicht zuletzt eine gute Portion Lebenserfahrung.

Den heutigen Beitrag können Sie anhören ( Audio-Podcast ) oder ansehen (YouTube).

Wie wir emotional auf etwas reagieren liegt an uns selbst und sehr viel weniger am auslösenden Ereignis. Der eine verliert schon bei kleinem Stress die Nerven und die Selbstbeherrschung, der andere hat sich und seine Gefühle lange unter Kontrolle. Er ist emotional stabil. Er hat emotionale Reife. Aus sich heraus. Ohne Zwang. Aus Überzeugung.

Wer sich vom Urteil anderer distanzieren kann ohne Arroganz und ohne sich selbst für übermäßig wichtig zu halten darf sich getrost emotionale Reife attestieren. Manch einer braucht Willen und Ausdauer, doch zu allererst Einsicht und Selbsterkenntnis, diese mentale Stärke zu entwickeln.

Die Genetik, sprich Vererbung, das psycho-soziale Umfeld des Heranwachsenden und die anschließenden Erfahrungen in der Eigenverantwortung für sein Leben tragen zur Reife und Stabilität bei. Verkürzt dargestellt kann man sagen, dass emotional reife Menschen …

  • … dankbar sind für die tagtäglichen Ereignisse. Vor dem Schlafengehen reflektieren sie den Tag in Dankbarkeit.
  • … können vergeben und rechnen mit dem Guten.
  • … die richtigen Worte finden. Fehler, die anderen widerfahren, sind ihnen kein Grund zur Freude.
  • … loslassen können. Etwas loslassen und aufgeben können sehen sie nicht als Verlust an.
  • … im Diskutieren eine Mehrwert sehen. Sie diskutieren wegen der Erkenntnis und nicht um zu kämpfen und zu gewinnen.
  • … mehr zuhören als sprechen. Sie reden nicht viel, nur um gehört zu werden.
  • … Unterschiede als Wertschöpfung ansehen. Sie meiden „Bubble Thinking“. Sie bemerken, wenn das eigene Denken in der Blase Gleichgesinnter stattfindet.
  • … im Jetzt und Hier orientiert sind. Die Vergangenheit haben sie als unveränderbar akzeptiert.
  • … mit sich selbst zufrieden sind. Ihr Leben und Verhalten ist nicht auf die Bestätigung durch andere fokussiert.

Jeder Mensch ist anderes.

Anfang des letzten Jahrhunderts stellten Psychologen 18000 Merkmalen zusammen, um Menschen zu katalogisieren. Das führte zu nichts Brauchbarem und so wurde die Liste zunächst auf 4500, später auf 16 Persönlichkeitsfaktoren und Ende des letzten Jahrhunderts auf fünf Hauptmerkmale verdichtet.

Diese „Big Five“, benannten Merkmale sind seit 30 Jahren anerkannter Standard der Persönlichkeitsforscher.

Die Big Five sind:

  • Offenheit

Normen und Vorgaben werden kritisch hinterfragt. Neuen unkonventionellen Ideen begegnet man vorurteilsfrei und unabhängig.

  • Gewissenhaftigkeit

Selbstkontrolle und Genauigkeit gepaart mit Verantwortungsbewusstsein und Zielstrebigkeit sind darunter zu verstehen.

  • Extraversion

Auch Extrovertiertheit genannt bezeichnet die Geselligkeit und das Wohlfühlen in Gruppen. Netzwerke pflegen und zwischenmenschliche Kontakte knüpfen sind bezeichnend.

  • Verträglichkeit

Anderen helfen, an das Gute glauben und vertrauen beschreibt dieses Merkmal. In Harmonie sein, nachgiebiges und kooperatives Verhalten leben.

  • Neurotizismus

In hoher Ausprägung bei hochsensible Personen zu bemerken, die schnell aus dem seelischen Gleichgewicht kommen, die überproportional negative Gefühle entwickeln, die sich häufig Sorgen machen. Ihre Emotionen hallen stärker nach. Ihre Empathie ist sehr stark ausgeprägt.

In der englischsprachigen Psychologen- und Therapeuten-Fachwelt ist daraus das „OCEAN-Modell der Persönlichkeitsfaktoren (Wikipedia)“ geworden.

Emotional stabil oder labil

Verhalten hat immer etwas mit Zwischenmenschlichem und Kommunikation zu tun. Wie wir miteinander umgehen zeigt sich an Merkmalen und Verhaltensmustern, die sich trotz persönlicher Individualität in typischen Situationen immer wieder gleichen:

  • Verhalten anderer persönlich nehmen

Emotionale Stabilität beinhaltet große Selbstsicherheit – sich-seiner-selbst-sicher-sein -. Man nimmt nicht alles persönlich was andere sagen oder tun. Die Welt dreht sich nicht um die eigene Person. Der eigene Wert ist unbeeinflusst von anderen. Unbedachte Aussagen oder mangelnde Beachtung durch andere ist nicht prinzipiell als Angriff zu deuten.

  • Kleinliche Diskussionen

Emotionale Stärke zeigt sich im Verzicht, jedes kleine Wortgefecht mit Vehemenz auszutragen. Hohes Selbstbewusstsein – sich-seiner-selbst-bewusst-sein – bewirkt, haltlosen Anschuldigungen und rüden Vorwürfen aus dem Wege gehen zu können. Emotional Stabile können sich höflich und bestimmt abwenden. Nichts drängt sie, sich auf gleiche Stufe mit Nörglern und Miesmachern zu stellen.

  • Vergangenheit ist vergangen

Emotionen zu kontrollieren bedeutet im Hier und Jetzt zu sein. Geschehenem nachzutrauern kann Vergangenes nicht ändern. Nehmen Sie die Gefühlen und die Erlebnisse an wie sie sind. Im Positiven wie im Negativen. Gefühle verdrängen gleicht einem kindhaften Versteckspiel: indem es sich die Augen zuhält, meint es nicht gesehen zu werden.

  • Veränderungen sind Chancen

Emotional gefestigte Menschen sind neugierig auf Anderes. Sie empfinden keine Unsicherheit oder gar Angst wenn sich Unvorhersehbares ereignet. Veränderungen werden nicht automatisch mit Unwohlsein gleichgesetzt. Sondern vielmehr mit neuen Chancen und weiteren Möglichkeiten gleichgesetzt.

  • Optimismus Raum geben

Es kommt vor, dass man das Gefühl hat, alles liefe schief. Tatsächlich sind Rückschläge und Niederlagen Teile der Realität. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Emotionale Stabilität beweist sich gerade in der weniger rosigen Zeit durch zukunftsorientiertes optimistisches Handeln.

  • Rational handeln

Emotional stabile Menschen haben eine innere Ruhe und Ausgeglichenheit. Selten vergreifen sie sich im Ton oder werden laut wenn sie sich angegriffen fühlen. Sie wissen, dass gefühlsmotivierte Re-Aktionen aufgrund unüberlegter Be-Wertungen stattfinden. Mit anderen Worten, wer fähig ist, seine erste spontane Situationsbewertung zu überdenken, entdeckt neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten.

  • Aus Fehlern lernen

Emotional reife Personen gestehen Fehlverhalten und Fehlentscheidungen ein. Sie suchen nicht nach Ausreden, um den Schein zu wahren und besser dazustehen als sie sind. Sie verantworten ihr Handeln. Sie werden anhand ihrer Fehler etwas lernen und neue Erkenntnisse gewinnen.

  • Es allen Recht machen

Niemand kann es allen Recht machen. Perfektionisten sind leider der irrigen Annahme, dass so etwas anzustreben sei. Dahinter verbergen sich andere Ursachen.

  • Vertrauen

Emotionale stabile Menschen haben Vertrauen in die eigenen Stärken und Fähigkeiten. Sie wissen auch um die eigenen Defizite und akzeptieren diese. Trotzdem überkommt sie nicht das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Herabwürdigende Glaubenssätze aus der Zeit des Heranwachsens haben sie relativiert. Das Selbstbild wird nicht von Zweifeln geprägt. Reife und Stabilität zeigt sich im Selbstwertgefühl.

Fazit

Das Erfassen, Verstehen und Umgehen mit eigenen sowie fremden Gefühlen ist ein guter Anfang emotionale Intelligenz zu entwickeln. Emotionen können uns den Weg zur Lebenszufriedenheit ebnen, – oder uns auch im Wege stehen, wir hier und in vorherigen Beiträgen abgeleitet werden kann.

Wenn etwas schief läuft, fragen Sie nicht: „Warum passiert mir das? Warum ich?“ Denn dahinter verbirgt sich die Erwartung, einen Schuldigen zu finden und die Verantwortung abgeben zu können.

Fragen Sie besser: „Wozu?“

Getreu dem Motto: Wer etwas will findet Wege. Wer etwas nicht will findet Gründe.

Im nächsten Beitrag geht es, passend zum Jahreswechsel um Zuversicht und soziale Kompetenz

Vorherige Beiträge zum Thema „Emotionale Intelligenz“ können Sie hier lesen, hören, sehen.

Abschließend …

… eine Frage: „Sind intuitive oder analytische Menschen empathischer?“

Wenn Sie hier klicken empathie@hphippler.de erfahren Sie umgehend was Wissenschaftler an der Harvard-Universität herausgefunden haben.